Der „faule Kompromiss“: Das Kopfpauschalenungetüm der Union

Lilo Friedrich, MdB
Lilo Friedrich MdB

· Der Sozialausgleich für Menschen, bei denen die Belastungsgrenze erreicht ist, wird aus der Arbeitgeberpauschale (dem „Sondervermögen“) finanziert. Die Mitversicherung der Kinder wird aus dem Steueraufkommen finanziert. Auch die Beiträge für Kinder von Privatversicherten werden daraus finanziert – bisher tragen diese Kosten die Privatversicherten selbst. Der Spitzensteuersatz soll zur Finanzierung statt auf 36 nur auf 39 Prozent sinken.

Damit haben sich CDU und CSU auf einen Formelkompromiss geeinigt. Beide Parteien wollen so vor den jeweiligen Parteitagen ihr Gesicht wahren. Beide Parteien wissen, dass ihr Modell so nie Realität wird. Die Gesundheitspolitiker der Union waren nicht an der letztendlichen Entscheidung beteiligt. Experten haben in der Union nichts mehr zu sagen: Gesundheitsfachmann Horst Seehofer tritt zwar nicht zurück – wird sich aber nicht mehr mit der Gesundheitspolitik beschäftigen. Angela Merkel hat sich besser behaupten können als Edmund Stoiber, der die CSU-Forderung nach einkommensabhängigen Beiträgen aufgegeben hat.

Das Modell dient dem Frieden in der Union, nicht dem Wohl der Versicherten. Die Finanzierung ist nicht seriös, es ist nicht transparent, es schafft mehr Bürokratie und weniger Wettbewerb. Es ist ein großer Schritt zurück.
Mit der Bürgerversicherung hat die SPD ein klares Gegenmodell. Die solidarische Bürgerversicherung macht das Gesundheitssystem zukunftsfähig, schafft mehr Qualität durch mehr Wettbewerb, entlastet die Lohnnebenkosten und legt die Verantwortung auf alle Schultern.

Argumente

· Der Kompromiss vereint die Nachteile der bisherigen Überlegungen: Die Pauschale belastet schwächere Einkommen. Gleichzeitig sinkt der Arbeitgeberanteil nicht, sondern wird nur gedeckelt. Millionen von Versicherten werden zu Zuschussempfängern, dies gilt vor allem in den neuen Bundesländern. Zukünftige Kostenentwicklungen werden alleine von den Versicherten getragen. Die Belastungsgrenze von 7 Prozent oder die Höhe des Steuerausgleichs ist nicht festgeschrieben und wird sich ändern. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage erwartet, dass die Pauschale in den kommen Jahren deutlich steigen wird. Bis 2030 müsste sich der Beitrag fast verdoppeln, so die Prognose der Wirtschaftsweisen. Diese Entwicklung ist zu erwarten: So erlebte es auch die Schweiz, die Frau Merkel als Vorbild erwähnt. Ein Drittel der Bürger erhalten dort Zuschüsse.

· Kassen, Gewerkschaften, Verbände und Wissenschaftler stellen sich gegen das Modell. Der Vorschlag der Union ist nicht durchsetzbar. Kopfpauschalen-Befürworter Bert Rürup hält das Kompromissmodell für nicht geeignet. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn kritisiert den Kompromiss ebenfalls. Auch die Kassen sind dagegen: Der Vorstandsvorsitzende der KKH, Ingo Kailuweit, sieht die Union im „gesundheitspolitischen Niemandsland“. Der DGB kritisiert das Modell als „unverantwortlich“. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte das Modell der Union „völlig inakzeptabel“ und einen „faulen Kompromiss“. Auch die DIHK ist nicht zufrieden. Die FDP stellt sich klar gegen das Modell. Und auch die Begeisterung in der Union hält sich in Grenzen: Der CDU-Wirtschaftsrat lehnt es ab. Jürgen Rüttgers kommentiert das Modell trocken: „Es ist das, was jetzt möglich ist.“ Horst Seehofer wird sich nicht mehr mit der Gesundheitspolitik beschäftigen, wird einen anderen Aufgabenbereich suchen.

· Die Finanzierung ist nicht seriös. Bund, Länder und Gemeinden können sich keine weiteren Steuersenkungen leisten. Schon das Merz-Modell alleine ist nicht zu finanzieren. Aus diesem Modell auch noch den Sozialausgleich im Gesundheitssystem finanzieren zu wollen, ist nicht seriös. Genau so wenig wie die Zahlen, mit denen die Union rechnet: Es existiert eine Finanzierungslücke von 14 Milliarden Euro. Die Lücke klafft. Minus und minus gibt hier eben nicht plus. Aus diesen ganzen Finanzierungslücken heraus will die Union auch noch kapitalgedeckte Vorsorgeelemente einführen. Wie, das lässt sie offen.
Zudem ist das Modell etwa im Vergleich zur Bürgerversicherung deutlich krisenanfälliger: Bei einer schwachen Wirtschaft und hohen Arbeitslosenzahlen haben immer mehr Menschen Anspruch auf staatliche Unterstützung und gleichzeitig sinkt das Steueraufkommen.

· Die Union ist nicht regierungsfähig. Die Union fordert in Sonntagsreden Steuerentlastungen, einen schlankeren Staat und Bürokratieabbau – und schafft sobald sie konkreter wird das Gegenteil. Sie schafft mit diesem Modell keine Anreize für mehr Arbeitsplätze, stellt sich nicht den Herausforderungen des demografischen Wandels, sie schafft keine Transparenz, sondern schafft mehr Bürokratie. Das Modell der Union ist ein bürokratisches Monstrum. Eine noch einzurichtende Verrechnungsstelle sammelt den eingefrorenen Betrag der Arbeitgeber ein (das „Sondervermögen“) und leitet ihn an die Kassen weiter. Dieses intransparente System erschwert den Wettbewerb.

· Das Modell ist nicht zukunftsgewandt. Die Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Krankenkassen wird beibehalten. Das schafft keinen Wettbewerb. Auch die Solidarität wird nicht gestärkt. Im Gegenteil: Kinder von einkommensstärkeren Eltern, die in der PKV versichert sind, werden unterstützt. Das nutzt nur Besserverdienenden. Das ist kein Modell für die Zukunft, was auch die Wirtschaftsweisen finden. Auch sie fordern, alle Bürger in die Finanzierung des Gesundheitssystems einzubeziehen – wie in der Bürgerversicherung festgeschrieben.

Mit besten Grüßen aus Berlin

Eure/Ihre
Lilo Friedrich MdB