


Äußerer Anlass seines Besuchs in der Schloss-Stadt war die Landtagswahlkampf-Veranstaltung der Sozialdemokraten. Doch nach seiner jüngsten Kapitalismus-Kritik, die zu breiten Debatten geführt hat, verwunderte es nicht, dass der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering auch in Velbert die (soziale) Marktwirtschaft thematisierte.
"Heuschrecken!" – Schon bevor der Hauptredner den voll besetzten Flora-Saal unter stehenden Ovationen und vereinzelten "Münte, Münte"-Rufen betreten hatte, verschaffte einer der Anwesenden seiner Empörung Luft, indem er die kürzlich von Müntefering benutzte Metapher für unsozial agierende Unternehmen aufgriff. Grund seines Ärgers: Der Firma Denison Hydraulik aus Hilden droht das Aus und den 181 Mitarbeitern des Unternehmens (das nach eigenen Angaben schwarze Zahlen schreibt) die Arbeitslosigkeit, da der neue US-Inhaber die Produktion an diesem Standort einstellen will. Im Vorfeld seines Auftritts sprach Müntefering mit Vertretern des Betriebsrats. Und kündigte in der Flora an, sich "im Rahmen dessen, was ich kann" für den Erhalt der Firma einzusetzen.
Von ähnlich scharfer Rhetorik wie zuletzt blieb der SPD-Chef diesmal fern. Kritikern, die ihn jüngst in die marxistische Ecke schieben wollten, bot er keine Angriffsfläche. Auch differenzierte er präzise zwischen Unternehmen, die sich sozial verhalten ("die können mit meiner Unterstützung rechnen") und solchen, bei denen dies nicht der Fall sei: "Märkte und Geld sind entgrenzt, das kann man nicht ändern. Aber der Markt an sich ist nicht sozial", so Müntefering. Daher sei die soziale Marktwirtschaft so wichtig: "Sie ist das Effektivste, das es gibt" und habe für über 50 Jahre den sozialen Frieden in der Bundesrepublik gesichert. Es müsse gelten: Die Wirtschaft ist für die Menschen da und nicht umgekehrt.
"Wir wissen: Unternehmen müssen schwarze Zahlen schreiben. Und wir haben eine Menge dafür getan", betonte der SPD-Vorsitzende. Er nannte die Senkung der Körperschaftssteuer von 40 auf 25 %, die des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 %. Nun sei es an den Unternehmen, für Arbeitsplätze zu sorgen. Und dass Eigentum verpflichte, stehe unabänderlich im Grundgesetz. Müntefering rückte zudem die Haltung der Politik in den Blickpunkt: Wenn sie nicht die Interessen der Menschen wahrnehmen könne, müsse sie sich konsequenter Weise die Frage gefallen lassen: "Wozu seid ihr da?" Eine solche Verdrossenheit sei für die Demokratie "nicht ungefährlich". trg
Bericht aus Berlin 1.5.2005
Kaptalismuskritik und Wahlkampf
Der SPD-Chef Franz Müntefering hat das angestoßen, was inzwischen alle Parteien beschäftigt und zumindest zum Teil aus dem Arbeitgeberlager zum Teil sehr emotionale, auf jeden Fall aber heftige Gegenwehr ausgelöst hat: die so genannte Kapitalismuskritik. Das frei flottierende internationale Finanzkapital, so geht die These, kauft Firmen auf, schlachtet sie aus, wirft den rentablen Teil auf den Markt, die Belegschaft verschwindet im Heer der Arbeitslosen, und das renditehungrige Kapital zieht weiter. Ist das angesichts der deprimierenden Umfragezahlen für die SPD in Nordrhein-Westfalen der neue Wahlkampfschlager, der den Machtwechsel in NRW am 22. Mai verhindern soll, oder steckt da mehr dahinter?
Von Brigitte Abold
Eine ehemalige Gießerei in Nordrhein-Westfalen: Der Besitzer verschwunden in die Karibik. Eigentum, das keiner will, Kosten für die Allgemeinheit bis heute. Die Firma Laakmann, ein Fusionsopfer, vom globalen Käufer bewusst in den Ruin getrieben, um Konkurrenz auszuschalten. Menschen wurden arbeitslos, die Fabrik wird bald abgerissen.
Das sind Beispiele, die den Bürgern in Velbert in Nordrhein-Westfalen einfallen, wenn sie das Wort Kapitalismuskritik hören. Betroffen fühlen sich viele.
Das weiß er: Franz Müntefering, der SPD-Parteistratege sprach zunächst sauerländisch deutlich von einigen kapitalistischen Auswüchsen, durchaus mit Beifall. Nach viel Aufgeregtheit in Wirtschaftsverbänden, wird er verbindlicher. Der Katholik besinnt sich auf die Bibel, das Matthäus-Evangelium.
Grafik: Franz Müntefering, SPD – Parteivorsitzender]
Franz Müntefering: "Ich glaube, das hat was damit zu tun, wie Menschen miteinander umgehen, ob sie bereit sind abzugeben. Das ist ja eine zentrale Stelle in der Bibel, eine Stelle, in der es darum geht, wer gibt wem ab und wie verhalten sich Menschen zueinander. Dazu würde ich gerne ein paar Gedanken vermitteln."
Das kommt gut an bei SPD-Ortsverbänden und Wählern aus der bürgerlichen Mitte. Etwa bei Thomas Stuhlmann. Vom alten Arbeitsplatz durch die Konkurrenz aus Osteuropa verdrängt, sieht er in der Debatte einen Anker. Er will SPD wählen.
Thomas Stuhlmann: "Franz Müntefering hat aus der Seele des Volkes gesprochen. Nicht nur aus der Seele der Partei. Ich gehe davon aus, dass zirka 80 Prozent diese Sachen sofort unterschreiben werden."
Etwas kritischer sieht das der Alt-Genosse Otto Schaubruch, ein Fusionsopfer der Stahlindustrie. Es war billiger für die Firma ihn in den Vorruhestand zu schicken als weiter zu beschäftigen. Der ehemalige Personalleiter hat ein Problem mit dem Zeitpunkt der Debatte.
Otto Schaubruch: "Wir hätten viel früher schon damit beginnen müssen, dann wären noch viel mehr Mitglieder jetzt willens und mobil, mitzumachen bei allem was los ist. Außerdem wären nicht so viele ausgetreten."
Wahlforscher haben ermittelt, dass sich eine Mehrheit zwar von der Kapitalismuskritik angesprochen fühlt, ihre Wahlentscheidung aber trotzdem nicht zugunsten der SPD treffen will. Entscheidend wird die Mobilisierung sein.
Torsten Faas, Uni Duisburg: "Die Leute müssen das Gefühl haben, dass das wirklich ein Anlegen der SPD ist, das sie auch in Zukunft verfolgen wird."
Der SPD- Chef macht unverdrossen weiter mit seinem Lagerwahlkampf und zielt dabei doch auf die Mitte der Gesellschaft. Ansätze eines Effektes auf die praktische Politik wurden diese Woche bereits sichtbar, etwa bei der Ausweitung der Mindestlöhne.
Franz Müntefering: "Ob die Diskussion in irgendeiner Weise in Nordrhein-Westfalen etwas verändert, weiß ich nicht. Aber das unterstellt ein bisschen, ich hätte das Ganze deswegen begonnen, das ist aber nicht so. Die Debatte wird weitergeführt werden."
Es geht um nichts weniger als das Stammland der Sozialdemokraten – die Wiege des Kapitalismus, zugleich. Die Menschen hier wollen klare Werte von den Parteien. Sonst droht die Erosion der Macht.