
Eindrucksvoll fuellt das Gemeinsame Wort den in vielen Ohren altmodisch klingenden Begriff der "Tugend" mit Leben. Politikerinnen und Politiker sollen in der Auseinandersetzung
mit dem politischen Konkurrenten fair bleiben. Sie sollen insbesondere den Mut haben, auch die Wahrheiten auszusprechen, die nicht gern gehoert werden. Sie sollen Risiken eingehen und
Standfestigkeit beweisen. Diese kirchliche Mahnung ist eine Unterstuetzung und eine Ermutigung fuer eine Politik, die ueber den Tag hinaus denkt. Mit Recht weist das Kirchenpapier darauf hin, dass das Gemeinwohl eine Zukunftsdimension habe, die die
kuenftigen Generationen betreffe. Politik muss auch diejenigen repraesentieren, die heute noch keine Stimme haben.
In dem Gemeinsamen Wort, das eine Kommission unter dem Vorsitz von Bischof Reinhard Marx und dem ehemaligen Bundesjustizminister Juergen Schmude vorbereitet hat, werden die Versaeumnisse der Vergangenheit benannt. Die Politik habe auch
gut vorhersehbare kritische Entwicklungen – den demografischen Wandel und die negativen Folgen der Schuldenpolitik – nicht angemessen beruecksichtigt. Die Kirchen fordern mehr
"Zukunftsverantwortung" statt "Gegenwarts-fixierung". Diese Kritik ist richtig und mahnt die Politikerinnen und Politiker, ueber kurzsichtige Tagespolitik hinauszublicken.
Die politisch Verantwortlichen sollten den Waehlerinnen und Waehlern nicht nach dem Mund reden. Genauso muessten die Buergerinnen und Buerger erkennen, dass sie sich nicht weigern
duerften, die Komplexitaet der politischen Probleme
nachzuvollziehen und stattdessen lieber die Politik vorschnell aburteilen, so das Gemeinsame Wort. Fuer die oft beklagte Politikverdrossenheit seien nicht nur die Politiker verantwortlich, sondern auch jede Buergerin und jeder Buerger
haetten die aktive Mitverantwortung fuer das Wohl des Ganzen. Die Demokratie braucht auch diese politischen Tugenden.
Demokratie ist keine Selbstverstaendlichkeit, sie muss immer wieder neu gelernt und erfahren werden. Die juengsten Erfolge der Rechtsextremisten haben uns das erneut vor Augen gefuehrt.
Dies macht das Gemeinsame Wort so wertvoll: eine wichtige gesellschaftliche Kraft begruendet den Wert der Demokratie. Wir als Politikerinnen und Politiker werden ermutigt, eine wertorientierte Politik zu betreiben, die die Zukunft der Ge-sellschaft und insbesondere der Kinder im Blick hat. Das dabei grundlegende ethische Standards des politischen Verhaltens betont werden, ist richtig. Die "Berufung der Buergerinnen und Buerger zur Politik", von der das Wort spricht, ist ein Appell
zur aktiven Teilhabe an der Demokratie.