
NRZ : SPD-Fraktionschef Struck hat gesagt, die CDU „könne ihn mal”. Finden Sie das in Ordnung?
Steinbrück : Mäßigt Euch, will ich allen Beteiligten mit auf den Weg geben. Ich hätte nicht so gesprochen wie Peter Struck. Entscheidend ist aber die Ursache des Zitats: Nämlich die CDU, die aus wahltaktischen Gründen ein wichtiges Thema auf gefährliche und schreckliche Weise verkürzt und dann den Biedermann spielt. Gewaltausübung von Jugendlichen ist in der Tat ein Problem, aber die Art und Weise, wie die CDU es rechtspopulistisch verkürzt, wird dem Problem nicht gerecht. Die CDU muss aufpassen, dass sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verliert. Wenn die Kanzlerin zum Integrationsgipfel einlädt und ihre CDU das Thema nun so vorführt, dass muss sie nie wieder einen Integrationsgipfel veranstalten. Im Übrigen kenne ich viele Christdemokraten, die gar nicht froh sind über den Koch-Kurs, weil sie wissen, dass neben der Strafverfolgung die Wurzeln der Jugendkriminalität das eigentliche Thema sind.
NRZ : Muss man angesichts der Tonlage nicht um die Arbeitsfähigkeit der Großen Koalition fürchten?
Steinbrück : Ach Quatsch. Es ist eine Fehlannahme, dass die Koalition jedes Mal in Gefahr ist, wenn die Tonlage schärfer wird. Über einzelne Stimmen redet in zehn Tagen kein Mensch mehr.
NRZ : Der Öffentliche Dienst fordert acht Prozent. Geht das für Sie als Finanzminister in Ordnung?
Steinbrück : Acht Prozent plus ein Sockelbetrag von 200 Euro sind nicht zu bezahlen. Und für die Kommunen wäre das eine nicht zu stemmende Last.
NRZ : Aber die Menschen haben immer weniger in der Tasche.
Steinbrück : Das stimmt. Seit der Wiedervereinigung haben die Bürger real 1,5 Prozent weniger zur Verfügung, und damit haben sie gleichzeitig zur Verringerung der Lohnstückkosten beigetragen. Gleichzeitig befinden sich die Unternehmen als Gewinner der Lage auf einem phantastischen Niveau. Darum sage ich, dass bei den Tarifverhandlungen ein fairer Anteil für die Arbeitnehmer herauskommen muss.
NRZ : Der Unterschied zwischen Arm und Reich wird immer größer. Wie finden Sie das als Sozialdemokrat?
Steinbrück : Das macht mir große Sorgen. Das Modell der sozialen Marktwirtschaft wird so untertunnelt. Und es ist schlimm, dass die Eliten in unserem Land dies nicht ernsthaft genug vor ihrem geistigen Auge haben. Sie sollten wissen, dass ein politisches System nur überlebt, wenn es auch Verlierer integriert.
NRZ : Sie haben häufig Manager mir enormen Gehältern kritisiert. Sind Sie für staatlich verordnete Obergrenzen?
Steinbrück : Das kriegen Sie nicht hin, schon aus verfassungs- und steuerrechtlichen Gründen nicht. Aber eine Arbeitsgruppe der SPD prüft, ob man etwa die unbegrenzte steuerliche Abzugsfähigkeit von Abfindungen nicht unterbinden kann. In der Hauptsache ist das Thema jedoch eine Sache der Selbstdisziplin. Es sind nicht die Linksradikalen, die die Soziale Marktwirtschaft aushebeln. Sondern Auswüchse und Maßlosigkeit in den oberen Etagen, die Menschen an Gerechtigkeit zweifeln lassen und die Legitimation unseres Gesellschaftssystems in Frage stellen.
NRZ : Die CDU spricht Montag mit der FDP. Fürchten Sie eine Anbahnung von Schwarz-Gelb?
Steinbrück : Journalisten haben da immer wieder Verschwörungstheorien. Dabei ist doch nichts dabei, wenn CDU und FDP miteinander reden. Wir tun das doch auch hin und wieder mit den Grünen und Vertretern der FDP. Fest steht, dass die Koalition arbeitsfähig ist – unbenommen des einen oder anderen Misstons – wie in privaten Beziehungen auch.
NRZ : Viele Menschen bewegt die umstrittene CO-Pipeline von Bayer. Ihre Meinung?
Steinbrück : Man muss zwischen beiden Positionen Brücken bauen. Im Moment wird das Thema nur konfrontativ behandelt. Die Ängste der Menschen müssen Ernst genommen werden. Wichtig sind für mich: 1. Warum gibt es diese Trassenführung und keine andere? 2. Die Sicherheitsfragen müssen geklärt werden. 3. Das Allgemeinwohl muss nachgewiesen werden. 4. Die Frage von Entschädigungen muss geklärt werden, schließlich verlieren Grundstücke durch den Pipeline-Bau an Wert. Bevor dies nicht geklärt ist, darf es keine Inbetriebnahme geben. (NRZ)