Erstes Bundestagsmandat: Peer Steinbrück, der älteste Novize im Bundestag

Solidarität mit den Kollegen von tedrive
Peer Steinbrück wurde in Wülfrath mit 98% der Stimmen als Kandidat für den Bundetag gewählt…
…auch Kerstin Griese MdB, mit überwältigendem Ergebnis als Bundestagskandidatin bestätigt.

Zuvor hatte sich der Finanzminister in seiner künftigen politischen Heimat geradezu feiern lassen. Steinbrück erläuterte seine Haltung zu Finanzkrise und Wirtschaftslage, versprach den von Entlassung bedrohten Mitarbeitern eines Automobilzulieferers einen Besuch ihres Unternehmens und ließ sich mit einem weißen Protest-T-Shirt in den Händen fotografieren. Bereits vor Monaten war Steinbrücks Auftritt und seine Nominierung terminiert worden, längst hatte die SPD die Stadthalle in Wülfrath angemietet, als für eine kurze Weile der Weltfinanzgipfel in Washington für dieses Wochenende drohte.

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Die Politik hat die große Koalition lieb gewonnen
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Steinmeiers Schwäche, Steinbrücks Stärke Doch das Glück war mit der SPD im Kreis Mettmann und dem deutschen Finanzminister: der Gipfel wurde vorverlegt. „Wülfrath stand kurz in Konkurrenz zu Washington“, ruft Steinbrück in den Saal. „Das hat was“, kommentiert er den Vergleich der W-Städte und umgarnt die Seinen: „Ich bin mir gar nicht so sicher, wer gewonnen hätte.“ In jedem Fall sei Wülfrath „die schönste kleinste Stadt im Kreis Mettmann“ spottet er fröhlich – um sodann Mönchengladbach mit dem zweifelhaften Lob als „bester Fußballverein in schwarz-grün-weißen Trikots“ zu versehen.

Es ist schon eine außergewöhnliche Situation, in der Steinbrück erstmals für den Bundestag kandidiert – und dies just in einer Phase, in der dieser langjährige Außenseiter der Sozialdemokratie in den Schoß seiner Partei gefunden hat. Als „Herrn Steinbrück“ haben die Linken in der SPD den Minister noch vor Monaten verspottet. Als einen, der die „Parteirechten“ koordiniere, haben sie ihn beschimpft. Auf dem SPD-Parteitag im Oktober 2007 ergriff Steinbrück nicht einmal das Wort. Einen Herbst später aber ist der wackere Krisenmanager nicht nur auf dem Zenit seiner Macht, sondern auch einer der Stars der SPD – und dürfte diese Rolle ebenso im Bundestagswahlkampf einnehmen.

Den wird Steinbrück im ganzen Land bestreiten, vor allem aber in seinem Wahlkreis, gelegen zwischen rheinischem und Bergischem Land. Wie sehr hatte sich Steinbrück dabei einst gegen ein Parlamentsmandat gewehrt! Regierungsbeamter, Büroleiter, Staatssekretär, Minister und Ministerpräsident ist dieser Mann gewesen. Noch vor gut drei Jahren, nach seiner Abwahl als Düsseldorfer Regierungschef, hatte der Exekutivpolitiker Steinbrück eine Bundestagskandidatur abgelehnt. „Nichts für ungut – ich bin kein Mann der Legislative“, schlug Steinbrück damals eine Offerte Gerhard Schröders aus. Wenig später wurde er, ohne Stimme im Bundestag, Finanzminister der großen Koalition.

Nun aber strebt Steinbrück ins Parlament und schon mokiert er sich über seine Konkurrentin im Wahlkreis, die CDU-Bundestagsabgeordnete Michaela Noll. Diese wolle offenbar mit der Parole „Ich bin tagtäglich hier“ werben, er aber besitze doch viel mehr Vorteile, sagt Steinbrück und verweist, gewohnt unbescheiden, auf seinen Einfluss in Berlin. Davon dürfte Steinbrück auch in den kommenden Monaten sprechen, fiel doch der Wahlkreis zuletzt an die CDU. In den Jahren 1998 und 2002 hatte ihn die Sozialdemokratin Lilo Friedrich geholt; sie machte sich nach ihrer gescheiterten Kandidatur 2005 einen Namen als Reinigungsunternehmerin.

Ausführlich demonstriert Steinbrück, wie gut er seinen Wahlkreis kennt; in den vergangenen Monaten war er immer wieder hier gewesen. Steinbrück erwähnt die Bürgersprechstunden, seine Unterhaltung mit einem türkischen Kioskbesitzer über die Riester-Rente, „die wunderbare Radtour bei strahlendem Wetter“ und seinen Besuch im Mettmanner Neandertalmuseum.

Mit ausladender Gestik, Klartext-Rhetorik und natürlich Ironie und Spott wendet sich Steinbrück an seine Parteifreunde. Er mokiert sich über das „Schwurbelieren“ und benennt (nicht zum ersten Mal) als „schönsten Politikersatz“ die Worte: „Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis, meine Damen und Herren!“ Politische Rituale habe er „ungefähr so gern wie Sodbrennen“. Über derlei Apercus erfreuen sich die rheinisch-bergischen Sozialdemokraten, lachen und applaudieren.

Mit der SPD geht Steinbrück an diesem Samstagmittag recht pfleglich um. Über „Heulsusen“ redet Steinbrück nicht, ebenso wenig über die SPD als „altes Sofa“. Selbst der Hinweis, die Welt kümmere es nicht, was der Ortsverein Oberdollendorf beschließt, unterbleibt. Seit dem Krisentreffen im September am Schwielowsee, währenddessen der damalige Vorsitzende Kurt Beck zurücktrat, habe die Partei „einen anderen Lauf“, sagt Steinbrück mit Nachdruck. Kurz lobt er die „Verdienste“ Becks, um dann, viel bestimmter, das Duo Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering als „bestmögliche Aufstellung“ hervorzuheben.

Steinbrücks Appell lautet: Erfolge hervorheben, Kurs halten, verlässlich sein, beständig arbeiten, pragmatisch agieren. Dieser Aufgabenkatalog könnte von Helmut Schmidt stammen. Der wird seit einigen Jahren in der SPD wieder gefeiert – ganz anders als am Ende und nach seiner Kanzlerschaft. Der Finanzminister wiederum galt noch vor Wochen in der SPD als „Peer der Schreckliche“. Davon ist keine Rede mehr. Und über mangelnden Rückhalt in seiner neuen politischen Heimat kann sich Steinbrück ohnehin nicht beklagen: Mit 98,1 Prozent nominierten ihn die SPD zum Kandidaten für den Wahlkreis Mettmann I. Da Steinbrück auf den dritten Platz der nordrhein-westfälischen Landesliste hoffen kann, dürfte der SPD-Fraktion nach der Bundestagswahl ein dann 62-jähriger Novize angehören: Peer Steinbrück.