800 wollten den Altkanzler hören

Ankunft von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder in Mettmann mit Peer Steinbrück und Kerstin Griese. RP-Foto: Janicki

Die Welt, 21. September 2009, 22:25 Uhr

Schröder bringt wieder Pep in SPD-Wahlkampf
von Daniel Friedrich Sturm

Er mischt wieder mit: Gerhard Schröder hat in Nordrhein-Westfalen die Wahlkampfbühne für die SPD betreten – und gleich ordentlich ausgeteilt. Für Union und FDP hatte der Ex-Kanzler viel Häme parat. Und er erinnerte an seinen Fernsehauftritt am Abend der Bundestagswahl 2005.
Nicht immer war Gerhard Schröder in den vergangenen Wochen eine Hilfe für seine Partei und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Wenige Tage aber vor der Bundestagswahl kämpft der Altkanzler voll für die Sozialdemokraten – und sieht sie seit Steinmeiers erfolgreichem Fernsehduell mit der Kanzlerin auf einem guten Weg.
Montagabend, Stadthalle Mettmann, unweit von Düsseldorf: Rund 800 Männer und Frauen erwarten Schröder. Proppenvoll ist der 70er-Jahre-Bau, es gibt Jazzmusik, ein Udo-Jürgens-Potpourri, dazu Pils und Alt. Geladen haben die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese und Finanzminister Peer Steinbrück, die beide den Kreis Mettmann im Bundestag vertreten wollen.

Jubel brandet auf, stehende Ovationen und Beifall, als Schröder und Steinbrück die Stadthalle betreten. Wenig später gibt Schröder alles – doch anders als zuletzt stellt er sich absolut loyal hinter Steinmeier und sieht seine SPD im Aufwind. Erst kürzlich hatte er in einem ostwestfälischen Bierzelt ein Ende des Afghanistan-Engagements bis 2015 gefordert, Steinmeier hat das wenig erfreut. Auch bei einer Konferenz des Bundesumweltministeriums hatte Schröder Steinmeier die Show gestohlen.
Damit ist nun Schluss sechs Tage vor der Wahl. „Seit Sonntag vor einer Woche macht es richtig Spaß, den Wahlkampf meiner SPD zu verfolgen“, ruft Schröder in den Saal und spielt damit auf Steinmeiers souveränen Auftritt und die verunsicherte Angela Merkel im TV-Duell an. „Mitgezittert und die Daumen gedrückt“ habe er an jenem Abend, bekennt Schröder freimütig. „Klar in der Sache. Souverän und selbstbewusst im Auftritt“, lobt der Kanzler a. D. den Kanzlerkandidaten.
Erst am Sonntagabend sah Schröder Steinbrück und dessen Gegenspieler, Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bei Maybrit Illner, berichtete Schröder („Ihr seht schon, ich hab’ ne Menge Zeit“). Auch Steinbrück sei klar und souverän gewesen. „Genau so will ich meine Partei, meine SPD, sehen. Das ist die Linie, die wir brauchen.“ Man müsse gar nicht „die anderen beschimpfen“, rät Schröder – um es dann doch zu tun: „Die taugen eh nix.“ Gemeint sind Union und FDP. Die SPD habe die Krise gemeistert, während die Kanzlerin und die Union „nicht sichtbar“ gewesen seien. Die Industriepolitik der Sozialdemokraten hätten „die anderen“ einst diskreditiert; nun wollten sie sie selbst betreiben.
Im Jahre 2005 hätten nicht nur Amerikaner und Briten sich gegen Reformen auf den Finanzmärkten gewandt, „auch die damals deutsche Opposition, FDP und CDU, wollten das nicht“. Gegen die Ökosteuer seien sie, greift Schröder in die historische Kiste, sei die Union zu Felde gezogen. Keiner aber wolle die mehr abschaffen. Immer wieder wird Schröder von Beifall unterbrochen. Immer wieder lobt er Steinmeier und Steinbrück. Immer wieder wird er gefeiert. Er wettert gegen die Atomenergie und macht sich lustig über die FDP, „diese kleine gelbe Partei“.
Eines aber, meint Schröder und erinnert an seinen Fernseh-Auftritt am Abend der letzten Bundestagswahl, würden seine Nachfolger an der Spitze der SPD nicht schaffen. „Sie werden keine Regierung mit meiner Partei bilden“, hatte Schröder da Merkel zugeraunt, die daraufhin erbleichte. Heute blickt Schröder zurück und meint über seine Leute: „Die werden nicht eine solche Kultsendung hinkriegen wie ich 2005.“

NRZ, 22.09.2009
Schröder rockt Mettmann
von Jan Jessen

Mettmann. In der heißen Phase des Wahlkampfs hatte Altkanzler Gerhard Schröder am Montagabend einen Auftritt in Mettmann. Der letzte Rock ’n‘ Roller der Sozialdemokraten sagte inhaltlich wenig – riss die Genossen aber umso mehr mit und schwor sie auf den Endspurt ein.

Natürlich sind da auch Kerstin Griese und Peer Steinbrück. Beide treten im Kreis Mettmann an für die SPD. Die eine ist außerhalb Mettmanns Eingeweihten bekannt, der andere, klar, ist Finanzminister, schon ein politisches Schwergewicht, aber heute Abend interessiert die 500 Menschen in der Neandertalhalle in Mettmann eigentlich nur einer: Altkanzler Gerhard Schröder. Von ihm erwarten sie sich das, was ihnen im Wahlkampf bislang fehlt, klare Kante, Rock ’n‘ Roll, Balsam für die kleingeschriebene und geschundene sozialdemokratische Seele.

„Der weiß, wovon er spricht”

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Leo Baum beispielsweise, seit über 40 Jahren in der Partei, braune Wildlederjacke, vor sich ein Glas mit Altbier. Kein schlechtes Wort über den Kanzlerkandidaten, natürlich nicht. Aber: „Den Willy Brandt, den haben wir geliebt, der Münte steht für den kleinen Mann ein und der Schröder, der weiß wovon er spricht.” Und, ja, verdammt es braucht eben auch Wadenbeißer in der Politik, sagt Baum und swingt ein wenig mit zu der Musik einer Band mit dem putzigen Namen „Peter-Weisheit-Band”, die „Let’s have a Party” schmettert.

Dann sind sie da, Peer und er, und die Masse tobt und jubelt und klatscht frenetisch. Der Mann, der mal Ministerpräsident in NRW war und dessen Wahlniederlage im Mai 2005 das Ende der Regierung Schröder einläutete, ergreift als erster das Wort. Sicher, Steinbrück kann reden, spitzzüngig agitiert er gegen die „Marktradikalen”, malt in grellen Farben das Schreckensbild einer schwarz-gelben Regierung, die für eine Aufhebung des Kündigungsschutzes stehen werde und ein Ende des handlungsfähigen Staates.

Das hören sie hier selbstverständlich gern, wie auch den ätzenden Spott, mit dem er den politischen Gegner überzieht („zu Guttenberg ist ein gut aussehender junger Mann. Aber reicht es, gut auszusehen? Er ist ein blendender Mann”), aber die Menge zum Kochen bringt er nicht. Vielleicht liegt es am leichten Sing-Sang, mit dem Steinbrück seine Rede intoniert, vielleicht liegt es auch daran, dass er zuviel Regierungshandeln rechtfertigt und erklärt.

Schröder redet Tacheles
Doch dann bekommen die Genossen, auf was sie gewartet haben: Gerhard Schröder betritt die Bühne und redet Tacheles. Ach, was heißt reden – er bölkt und röhrt und ackert auf der Bühne, er zieht die Grenzen scharf zwischen „die” und „wir”. Die, das ist die Union, das ist die FDP, die sind „beliebig” und „substanzlos”, ganz im Gegensatz zur SPD, die „klar und souverän” auftritt, mit „überzeugenden Leuten” und „überzeugenden inhaltlichen Angeboten”.

Eigentlich müsse man „die anderen” nicht beschimpfen, weil „die eh nix taugen”, aber Schröder tut es natürlich doch. Die Kanzlerin, die in der Krise nicht sichtbar gewesen sei, Union und FDP, die unter Rot-Grün gegen eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte gekämpft und die Industriepolitik der SPD zugunsten der Finanzdienstleister diskreditiert hätten. „Man darf ihnen dieses Land nicht anvertrauen”, bellt er in den Saal. Das ist das, was die Leute hören wollen.

Richtig Wahlkampf eben
Und so verzeihen sie ihm seinen wenig stringenten Vortrag, eigentümliche semantische Verrenkungen („deswegen war ich zu keinem Zeipunkt pessismistisch, aber jetzt bin es noch weniger als jemals zuvor”) und sogar, dass er Mettmann zur Stadt Johannes Raus erklärt und eigentlich Wuppertal meint. Er schwört sie ein auf einen Wahlkampfendspurt, macht ihnen Hoffnung („am Sonntagabend wird eine ganz andere Stimmung in der Sozialdemokratie herrschen”), reißt sie mit, motiviert sie – und das ist, was hier zählt, in der Neandertalhalle in Mettmann.

Richtig Wahlkampf eben. Das haben sie vermisst.