„Kommunen vor dem Kollaps“

Bürgermeister Stefan Freitag
Innenminister Ralf Jäger
Gastgeber Peer Steinbrück

„Wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben“, gestand Bürgermeister Freitag, nicht mehr daran geglaubt zu haben, dass die Beschwerden der Kommunen Gehör fänden. Denn die Finanzlage vor Ort sei ja schon seit Jahren desolat. Was vor allem daran liege, dass die Städte fast alle Risiken des Lebens zu finanzieren hätten. Das vor allem gelte es zu ändern, forderte er eine wesentliche Übernahme dieser Sozialkosten durch den Bund. Die extremen Schwankungen bei der Gewerbesteuer sind für den Bürgermeister ebenso ein Problem wie die ungerechte Finanzausstattung der Kommunen durch die Gewerbesteuer. So könne beispielsweise Ratingen über 90 Prozent mehr Steuereinnahmen verfügen als das nur etwas kleinere Velbert nach allen Ausgleichszahlungen.
Während Freitag sich eine andere Finanzierung der Gemeinden vorstellen kann, warnte der frühere Finanzminister Steinbrück vor einer Abschaffung der Gewerbesteuer, „solange Sie nichts anderes haben“. Es sei unerlässlich, dass die auf die Wirtschaftskraft bezogene Steuer für die Kommunen erhalten bleibe, forderte Steinbrück. Er bleibe ein Verteidiger der Gewerbesteuer, setzte sich aber zudem für deren Verstetigung und Verbreiterung ein. Die Große Koalition habe Maßnahmen beschlossen, die zur Verstetigung der Gewerbesteuer geführt hätten, die aber von der neuen Regierung wieder rückgängig gemacht wurden. Minister Ralf Jäger ist „gelassen“, dass die Gewerbesteuer wie seit fast 200 Jahren auch diese neuen Angriffe überstehen werde.
Einig sind die die Vertreter der drei Ebenen in ihrer Forderung nach einem echten Ausgleich zwischen den Kommunen, wie es ja auch einen Länderfinanzausgleich gebe. Der Duisburger Jäger sieht aber vor allem auch wie Bürgermeister Freitag die Notwendigkeit, die Städte von den Sozialkosten zu entlasten. „Die Städte haben Soziallasten zu tragen, für die sie niemals ausgestattet wurden.“ Wenn diese Fehlentwicklung gestoppt werde, hätte das zudem den Vorteil, dass der Bund auch die Auswirkungen der Gesetze spüre, die er erlasse.
Mit dem Finanzausgleich zwischen den Städten alleine sei es nicht getan, betonte Jäger. Denn die Zahl der „reichen“ Städte nehme auch noch immer mehr ab: Ganze acht Kommunen in Nordrheinwestfalen schafften noch einen echten Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgabe in ihrem Haushalt, berichtete der Minister für Inneres und Kommunen. Dafür gebe es inzwischen sieben Städte, die als „überschuldet“ gelten, 27 seien von der Überschuldung bedroht. „Da gehört eigentlich alles schon den Banken.“

Bürgermeister Stefan Freitag sieht schwarz, wenn sich in den nächsten ein, zwei Jahre außer einer Diskussion nichts bewege. Dann könne es womöglich wirklich geschehen, dass die ersten Städte kein Geld mehr von den Kreditinstituten bekämen, wie es ja bei Ländern schließlich auch schon der Fall sei. Freitag fordert einen Rettungspakt für die Städte. „Sonst werden wir den kompletten finanziellen Zusammenbruch vieler Städte erleben.“
Peer Steinbrück unterlegte das mit Zahlen: Die Summer der Kassenkredite aller Kommunen liege heute bei 40 Milliarden Euro. Und Berechnungen gingen davon aus, dass diese Überziehungskredite bis 2013 auf 80 Milliarden Euro anwachsen.

Einen Grund, weshalb die Kommunen vor dem Kollaps stünden, sieht Minister Jäger in der Politik. Bundespolitik werde als Bundesliga wahrgenommen, Landespolitik als Landesliga, und für die Kommunalpolitik bleibe dann noch die Aufmerksamkeit der Kreisliga. „Es wird Zeit, dass wir uns endlich auf Augenhöhe bewegen“, forderte Jäger eine neue politische Kultur im Umgang miteinander.

Gerade erst habe der Bundestag einen Antrag der SPD abgelehnt, der in einem ersten Schritt für die Übernahme von Soziallasten durch den Bund geführt hätte, berichtete Peer Steinbrück. Und die von seinem Nachfolger Schäuble eingebrachte Idee, den Kommunen eine eigene Einkommenssteuer zu ermöglichen, hält Steinbrück – wie seine Gesprächspartner – für unsinnig. Die armen Städte müssten die neue Steuer bis zum Anschlag ausreizen, während die reichen auf sie verzichten könnten, beschrieb Innenminister Jäger die Konsequenzen. Das aber würde nur die fatalen Folgen haben, dass die Schere zwischen arm und reich noch weiter auseinander gehe.