Wieder Partei der Kümmerer werden

Peer Steinbrück und Kerstin Griese mit Astrid Klug
Peer Steinbrück will die Partei revitalisieren.
Spannende Diskussion mit Julia Hilmu und Günter Scheib

Die Erneuerung der Partei müsse ein Dauerprozess sein. „Wir müssen jeden Tag ein Stück moderner werden. Dann macht Politik nicht nur Sinn, sondern auch Spaß.“
„Es kommt nicht darauf an, wie wir uns selbst sehen, sondern wie uns andere sehen“, gibt Bundestagsabgeordneter Peer Steinbrück zu bedenken. „Und das Bild ist nicht so, wie wir es uns wünschen.“ In dem Bild der Anderen sei die SPD nicht sehr interessant, mache nicht sehr neugierig, man wisse nicht wofür die SPD stehe, die Partei gelte als nicht sehr beständig. Weil die Bundesregierung aber eben grottenschlecht sei, „müsste die SPD eigentlich sehr viel besser dastehen“.
Alle Parteien haben aus Steinbrücks Sicht damit zu kämpfen, dass die klassischen Wählermilieus sich aufgelöst haben. Das gelte sogar für die CSU, auch für eine FDP, die Liberalismus auf das Thema Steuersenkung reduziere, aber: „Keine Partei ist so früh und so stark betroffen wie die SPD.“ Gründe dafür lägen auch in der Zunahme der prekären Beschäftigung. „Die Leute gehen nicht mehr wählen, weil sie sich keine Veränderung ihrer Verhältnisse mehr versprechen.“
Die SPD werde zwar niemals mehrheitsfähig, wenn sie den Mittelstand anderen Parteien überlasse. Sie müsse aber auch die Partei sein, die für einen fairen Lastenausgleich sorge. „Auch die SPD hat mit ihrer Steuer- und Abgabenpolitik nicht dazu beigetragen, dass untere Einkommen besser gestellt wurden“, gesteht Steinbrück Fehler ein.
Aus seiner Sicht wird das Thema solide Finanzen in der SPD unterschätzt. Die Angst vor Inflation, vor dem Verlust des Gesparten, ja sogar vor einem Staatsbankrott beschäftigt die Menschen im Land nach Auffassung des früheren Finanzministers mehr, als die SPD das wahrhaben will. Die Partei müsse das Image loswerden, dass sie leichtfertig mit Geld um- und leichtfüßig in die Schulden gehe: „Nach dem Motto: Wenn die SPD in der Wüste regiert, wird der Sand knapp.“
Die Sozialdemokratie werde Bögen spannen müssen zwischen dem Eintreten für soziale Fairness und der Wahrung wirtschaftlicher Interessen. „Wenn die Lastesel des Sozialstaates sich abwenden, bricht der Sozialstaat zusammen“, warnt Steinbrück.
Aus seiner Sicht muss die SPD der Zukunft die Bühne sein, auf der die großen Themen diskutiert werden. Sie müsse die Menschen neugierig machen, ihnen aber auch das Gefühl geben: „Sie lässt mich wieder raus.“
Bei der Aufstellung von Kandidaten sollte es der Partei um die Frage gehen: „Wie wirkt der Mann oder die Frau auf den Wähler?“ Zumindest bei Kandidaturen für Landtag und Bundestag macht Steinbrück sich für Mitgliederbefragungen stark. Ziel der SPD müsse sein, „das Wohlstandsniveau zu halten und gerechter zur verteilen“. Und: „Die Annahme, durch die Vertretung von Minderheitsinteressen mehrheitsfähig zu werden, ist ein Irrtum in der SPD.“ Auch hier ist es aus Steinbrücks Sicht Aufgabe der Partei, Bögen zu spannen zwischen den verschiedenen Interessen.

entnommen aus der WAZ am 14.5.2011

Steinbrück: SPD muss sich wieder der industriellen Basis zuwenden
14.05.2011 / Szene, Politik

Autor: Theo Schumacher

Heiligenhaus.Die Kernfrage liegt gedruckt auf dem Tisch, wie maßgeschneidert für den Gast am Rednerpult: „Warum verlassen uns immer mehr Mitglieder?“ Peer Steinbrück ist zur SPD nach Heiligenhaus gekommen – ein Heimspiel, der Ex-Finanzminister sitzt ja für den Kreisverband Mettmann im Bundestag. Schon die Überschrift der Rede liest sich wie eine Provokation für die Genossen: „Sieben Punkte zur Revitalisierung der SPD“.

„Volkspartei bleiben“

Den Titel hat Steinbrück seinem Buch entnommen. Es enthält jede Menge Stoff für die Partei, die sich nach eigenem Bekunden modernisieren muss. Steinbrück fordert darin unter anderem: „Die SPD muss sich auf die Suche nach einem mitreißenden Mobilisierungsthema machen.“

Er ist nicht der Mann, der „das Soziale“ in der SPD predigt, als wolle er Pulswärmer im Winter verteilen. Das wissen auch die rund 120 Anwesenden.
Bundesgeschäftsführerin Astrid Klug erklärt: „Wir wollen Volkspartei bleiben.“ Steinbrück gibt Hinweise, wie. „Es kommt nicht nur darauf an, wie
wir uns selbst sehen“, sagt er. Die SPD gelte auch bei jenen, die es gut mit ihr meinen, als „nicht sehr interessant“, sogar als altbacken. Dass sie
nicht von den Schwächen der schwarz-gelben Koa­lition profitieren könne, wertet er als Beleg.

Die SPD müsse sich wieder viel stärker um die industrielle Basis kümmern und dürfe den Mittelstand nicht Konservativen überlassen, verlangt er. In der Steuerpolitik müsse die SPD darauf achten, „dass es zu einem stärkeren
Lastenausgleich zwischen oben und unten kommt“. Beifall. Steinbrück lobt die „offensive“ Bildungspolitik der NRW-SPD. Wer aufmerksam zuhört, kann aber auch Kritik an ihrer spendablen Finanzpolitik heraushören. Wenn die SPD kein
guter Anwalt der Steuergelder sei, heiße es: „Wenn die Sozis in der Wüste regieren, wird der Sand knapp“.

Wahlen könne die SPD nur gewinnen, wenn sie der Ort sei, wo die wirklich wichtigen gesellschaftspolitischen De­bat­ten geführt werde. Allein die Addition von Min­der­hei­ten­­interessen mache nicht mehrheitsfähig. „Wir müssen jene überzeugen, die schwanken, und nicht aus 100prozentigen Anhängern 150prozentige machen wollen“, so Steinbrück. Zum Schluss fordert
er, die SPD-Mitglieder stärker an der Nominierung ihrer Spitzenkandidaten zu beteiligen, und wendet sich gegen „Liebesentzug“ für jene, „die den
Parteikodex nicht am besten absingen“. Es hört sich an wie ein Appell in eigener Sache.