Steinbrück fordert deutsch-französische Initiative

Steinbrück sprach bei einer Veranstaltung der Zeit-Stiftung im vollbesetzten Dom. Zunächst verharrte er mit Teilen seiner „stump speech“, oft wiederholten Ausführungen zur internationalen Konkurrenz zwischen Europa und Asien sowie zum Zustand der EU, auf bekanntem Gebiet. Doch dann begab sich der als möglicher SPD-Kanzlerkandidat gehandelte auf für ihn neues Terrain: In gut 40 Minuten umriss er die Grundlagen der deutschen-französischen Beziehungen, ihren aktuellen Zustand und Möglichkeiten zur Wiederbelebung der Zusammenarbeit, kritisierte mit Witz und Esprit das von „Idealismus“ gekennzeichnete deutsche Politikverständnis und die „Tendenz, politische Probleme in Rechtsfragen umzudeuten.“ Seinen Ausführungen lauschte unter anderen auch der französische Botschafter in Berlin, Hervé Gourdault-Montagne.

Der SPD-Hoffnungsträger wählte bewusst die Redeform des Politikers, der eigene Grundsatzpositionen umreißen und den Anspruch kennzeichnen will, deutsche Politik zu gestalten: „ich will“, „mir ist wichtig“, „ich schlage vor.“ Europa wies er die historische Mission zu, im Wettbewerb mit ökonomisch attraktiven „staatskapitalistischen Systemen wie China“, die einfach befehlen und anordnen könnten, wirtschaftlich bestehen zu können und gleichzeitig die Alternative des gezähmten Kapitalismus zu verkörpern: „Dann können aufstrebende Nationen von Lateinamerika bis Afrika Freiheit und Rechtsstaatlichkeit als attraktiv erleben“. Die deutsch-französische Zusammenarbeit müsse diesem Ziel dienen und sich auf diese Ebene bewegen, um Europa zu stärken.

Zum Abschluss seiner mit starkem Applaus bedachten Rede wartete Steinbrück mit einem konkreten Arbeitsprogramm auf: Umschuldung für Griechenland, Marshall-Plan für einige mediterrane Länder, Rekapitalisierung europäischer Banken, engere und „rigidere Koordinierung der Wirtschaftspolitik“, ein außen- und sicherheitspolitisches Konzept, ein abgeschlossener Rahmen für die EU-Erweiterung – die Türkei erwähnte er nicht – arbeitsfähigere europäische Institutionen und „europäische Ressourcen“ für das ehrgeizige EU-Programm 2020 für mehr Wettbewerbsfähigkeit schrieb er Berlin und Paris ins Lastenheft.

Das Publikum erlebte einen neuen Steinbrück. Statt eines Politikers, der sich oft ironisch und kritisch über Frankreich äußert, hörte man einen Redner mit ausgeprägtem Verständnis für die unterschiedlichen politischen Traditionen der beiden Länder und Ideen dafür, wie die Kooperation aus der gegenwärtigen Stagnation herausgeholt werden kann – ein Steinbrück, der sich zutraut, der Republik die Orientierung in der Europapolitik zu geben, die sie derzeit schmerzlich vermisst.