
Seit dem Juni 2013 verhandeln USA und EU ein Wirtschaftsabkommen, um den Marktzugang für den Handel mit Gütern, Dienstleitungen, Investitionen und die öffentliche Auftragsvergabe für die Handelspartner in Europa und den USA zu erleichtern. Es sollen Regulierungsvorschriften und nichttarifäre (Tariff = Zoll) Handelshemmnisse abgebaut werden.
Wie sieht die Ausgangslage in NRW aus?
Der Außenhandel ist für die Bundesrepublik und speziell NRW von erheblicher Bedeutung. Freie und offene internationale Handelsbeziehungen, faire Bedingungen und die Einhaltung von Standards und Rechtssicherheit für Unternehmen bei Handel und Investitionen sind wesentliche Voraussetzung.
So hat NRW seit 2003 seinen Export um 50 % auf 181 Mrd. € gesteigert. D.h. 1/3 der gesamten Wirtschaftsleistung von NRW geht in den Export. Mit den USA hat NRW ein Handelsvolumen (Exporte + Importe) von 18 Mrd €.
Was verspricht man sich von TTIP?
Vom Abkommen erhoffen sich EU und ihre Mitgliedsstaaten positive Langfristeffekte (10-20 Jahre Vorlauflaufzeit) zur Ankurbelung des Wirtschafts- und Finanzmarktes, für die Arbeitsmärkte und im Bereich der nachhaltigen Wettbewerbsförderung.
Hierzu gibt es verschiedene Studien. Die Bertelsmann-Studie erwartet für die Bundesrepublik nach Ablauf von 15 Jahren etwa 180.000 neue Arbeitsplätze (also pro Jahr 12.000). Dagegen schätzt das ifo-Institut, dass im gleichen Zeitraum lediglich von 25.000 neuen Arbeitsverhältnissen (also 1800 pro Jahr) zusätzlich geschaffen werden.
Dies soll durch den Abbau von Zöllen (tarifäre Handelshemmnisse) aber auch durch die Vereinheitlichung von Zulassungsverfahren und andere Maßnahmen erreicht werden. Insgesamt erhofft man sich einen Beitrag zur Re-Industralisierung Europas.
Welche Befürchtungen verbindet man mit TTIP?
Die Risiken und Befürchtungen konzentrieren sich zunächst auf die in Europa errungenen Sozial-, Arbeits-, Umwelt-, Agrar-, Lebensmittel- und Gesundheits- und Datenschutzstandards.
Eine stärkere Harmonisierung von Normen und sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnissen sollte sich auf den Abbau unterschiedlicher technischer Standards und Vorschriften sowie ggf. auf die Abschaffung doppelter Zulassungsverfahren beschränken nicht in verbriefte Arbeitnehmerrechte eingreifen.
Die grundlegenden ILO-Standards hinsichtlich der Vereinigungsfreiheit, der Anerkennung von Gewerkschaften und der Schaffung von Betriebsräten dürfen nicht unterlaufen werden, sondern sollten vielmehr als Orientierung dienen und im Abkommen verbindlich verankert werden. Der Freihandel darf nicht zum Einfallstor für Lohn- und Sozialdumping werden.
Dasselbe gilt für das europäische Niveau von Verbraucherrechten und Datenschutzstandards. Aus Vor- bzw. Fürsorgegründen haben sich die EU und die Mitgliedstaaten bisher entschieden, bestimmte Produkte nicht zuzulassen bzw. mit einem Importverbot zu versehen. Dies betrifft u.a. Produkte, die aus gentechnisch veränderten Organismen bestehen oder hergestellt werden, Tiere oder Fleisch von Tieren, denen Wachstumshormone verabreicht wurden oder die geklont wurden, Lebensmittel, die durch in der EU verbotene Verfahren behandelt wurden oder Produkte, die nicht der EU-Kennzeichnungsrichtlinie entsprechen. Dies darf nicht unterlaufen werden.
Im Hinblick auf den Datenschutz ist es erforderlich, dass die Vertragsparteien das Recht auf den Schutz der Privatsphäre sowie die Sicherung der Freiheit und des Rechtes von Bürgern – auch im Internet – garantieren.
Einen besonderen Status genießt in der EU und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland die öffentliche Daseinsvorsorge. So ist sie z.B. für die Wasserversorgung, für das Gesundheits-, Verkehrs- oder Bildungswesen in den EU-Verträgen fest verankert. Je nach Ausgestaltung und Wortlaut des Abkommens, könnten Teile der kommunalen Daseinsvorsorge unter den Anwendungsbereich der Handels- und Investitionspartnerschaft fallen. Dadurch könnte sich indirekt das Abkommen auch auf die kommunale Organisationshoheit auswirken. Diese Organisationshoheit der kommunalen und lokalen Gebietskörperschaften ist eines der Kerngebiete unseres kommunalen Selbstverwaltungsrechtes.
Rekommunalisierungen müssen weiterhin möglich sein. D. h. Ratchet-Klauseln (Unveränderbarkeitsklauseln) dürfen nicht Bestandteil des Abkommens sein!
Auch darf der hohe Standard des europäischen Vergaberechts nicht abgesenkt werden. Beispielsweise bei der Beachtung der Einhaltung von arbeitsrechtlichen, sozialen und tarifvertraglichen Standards, der umweltfreundlichen Vergabe oder der Berücksichtigung von kleinen und mittleren Unternehmen. Dies stellt bei der öffentlichen Vergabe sicher, dass neben dem Preis auch andere Kriterien wie soziale und nachhaltige Aspekte Berücksichtigung finden.
Einer der am meisten in der Öffentlichkeit diskutierten Kritikpunkte ist die sogenannte Investitions-Schutzklausel. Dahinter steht die Absicht einen außergerichtlichen Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus verbindlich zu vereinbaren.
Es wird privaten Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt, Staaten vor „privaten“ Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie sich in den durch TTIP geschaffenen Rechten verletzt fühlen.
Die hierfür zu schaffende Sondergerichtsbarkeit zeichnet sich dadurch aus, dass wichtige rechtsstaatliche Prinzipien wie Transparenz- und Revisionsmöglichkeiten nicht gelten sollen. Die Schiedsgerichte zeichnen sich durch nichtöffentlichen Verfahren und Geheimhaltungspflichten aus. Dabei ist die Öffentlichkeit von rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren eine Ausprägung des Demokratieprinzips.
Man kann diese privaten Schiedsgerichte als eine autonome Teilrechtsordnung außerhalb der Rechts- und Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland bezeichnen.
Ein weiterer zu Recht im Fokus der Öffentlichkeit stehender Kritikpunkt ist das intransparente Verfahren und die Geheimverhandlungen zu TTIP. Ein Abkommen, das den Bürgerinnen und Bürgern zum Vorteil gereichen soll, darf nicht im Verborgen verhandelt werden. Hier hat der öffentliche Druck bereits Wirkung gezeigt. So sind die Offenlegung des Verhandlungsmandates der EU und das Konsultationsverfahren zu Schiedsgerichtsverfahren ein erster Erfolg.
Schlussfolgerung:
-TTIP kann eine Chance sein, einen Impuls für Wachstum und Beschäftigung zu setzen und zwar in dem der gegenseitige Marktzugang für den Handel mit Gütern, Dienstleistungen, Investitionen, die öffentliche Auftragsvergabe sowie Regulierungsvorschriften eröffnet und nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden.
-Die bestehenden gesetzlichen Standards in den EU-Mitgliedstaaten bspw. für Produktsicherheit, Gesundheits-, Sozial, Umwelt-, Klima-, Lebensmittel- und Tierschutz, die Verbraucher- und Datenschutzrechte sowie Schutzrechte für Arbeitnehmer dürfen auf gar keinen Fall abgesenkt werden. Bestehende und künftige Schutzrechte von Arbeitnehmern wie z.B. Rechte der Mitbestimmung, der Betriebsverfassung und weitere Rechte der Arbeitnehmer dürfen durch TTIP nicht zu nicht-tarifären Handelshemmnissen erklärt werden. Gleiches gilt für: die Regulierung des Arbeitsmarktes, die sozialen Sicherungssysteme, die Tarifautonomie, die Koalitionsfreiheit, das Streikrecht, die Mindestlöhne und Tarifverträge in den EU-Staaten.
-TTIP muss als sogenanntes gemischtes Abkommen eingestuft werden, das unter dem Zustimmungsvorbehalt des Europäischen Parlaments steht und zudem von allen 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ratifiziert werden muss. Dies bedeutet, dass je nach Recht des jeweiligen Mitgliedsstaates nicht nur die Zustimmung des nationalen Parlaments, sondern ggf. auch die Zustimmung bspw. der Bundesländer erforderlich sein kann.
-Es muss eine Positivliste erstellt werden, was im Abkommen geregelt werden soll und nicht, wie beabsichtigt, eine Negativliste, sodass sich die zu regelnden Tatbestände laufend ohne erneute Beratung oder Zustimmung ausweiten ließe.
-Das Abkommen muss komplett ausverhandelt werden. Es dürfen keine Teile des Abkommens ausgeklammert werden und unter Umgehung des Gesetzgebungsprozesses an speziell eingerichtete Expertengremien gegeben werden.
-An der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbeigehende Investorenschutzvorschriften und Streitbeilegungsmechanismen im Verhältnis Investor und Staat zwischen EU und USA sind abzulehnen. Demokratisch legitimierte und rechtsstaatlich zustande gekommene politische und administrative Maßnahmen in der EU und den USA dürfen durch Schiedsgerichte nicht in Frage gestellt und/oder im Nachhinein mit Schadensersatzforderungen belegt werden.
-Die Verhandlungen zu TTIP müssen transparent und nachvollziehbar geführt werden.