Auszählung des SPD-Mitgliedervotums 2018 – Bericht von Kevin Rahn

Seit dem Ende der Koalitionsverhandlungen ist die Abstimmung von uns SPD-Mitgliedern in aller Munde. Wir sind die einzige Partei, in der jedes Mitglied selbst und direkt über eine Regierung entscheiden kann. Das unterscheidet uns Genossen von den meisten Parteien im Bundestag, die indirekte Delgiertenabstimmungen nutzen. Doch wie lief diese Abstimmung nun eigentlich ab? Wie sah es aus im Motor der deutschen Politik? Dieser Bericht soll die Situation für alle nachvollziehbar machen:

Auszählung des Mitgliedervotums: Der Film auf Youtube

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Das ganze Prozedere begann mit der Auslosung der NRW-SPD, welche Unterbezirke Helfer schicken dürfen, denn NRW durfte bloß 26 Helfer schicken. Glücklicherweise wurde der Kreis Mettmann gezogen und ich konnte mich bewerben.

Ursprünglich ist seitens der NRW-SPD keine Übernachtung geplant gewesen, doch die Unterbezirke Kreis Mettmann und Solingen unterstützen ihre Gesandten hierbei, so dass ich wir schon am Freitag anreisen konnten.

Vor dem eigentlichen Zähltag konnten wir so noch dank unserer Abgeordneten Kerstin Griese den Bundestag besuchen und die Stadt erkunden.

Am Samstag bin ich dann, natürlich nach den Bundesliga-Spielen, gegen 17.30 Uhr zum Willy-Brandt-Haus gelaufen und habe mich akkreditiert. Das WBH hatte sich allerdings stark verändert. Der Vordereingang in der Spitze war verbarrikadiert und das komplette Erdgeschoss mit Milchglasfolie blickdicht gemacht. Einzig die zahlreichen Übertragungswagen der Medien kündigten von einem bevorstehenden Ereignis. Ansonsten war es ein sehr kalter und windiger Tag in Berlin bei gefühlt -10°C. Entsprechend wenig Menschen waren unterwegs.

Bei der Anmeldung bekam man seinen persönlichen Ausweis mit Namen und seiner Tätigkeit (Schlitzer, Sortierer, Zähler oder Springer) sowie zugewiesenem Tisch. Doch dazu später mehr. Zu dem Zeitpunkt konnte man damit noch wenig anfangen.

Bis 19 Uhr sind dann alle 120 Helfer, die MPZK, die Notare und alle anderen Verantwortlichen angekommen. Wirklich alle haben dann die letzte Stunde genutzt um noch ein letztes Mal das Smartphone zu benutzen, letzte Bilder zu machen und die jeweiligen Stories zu aktualisieren. Denn ab ca. 20 Uhr mussten Handys und sogar Jacken abgegeben werden.

Nun Begann das Briefing und alles wurde genauestens erklärt. Wer wo sitzt und was man nun zu tun hat. Ursprünglich sollten an je 17 Tischen sortiert und gezählt werden. An den Sortiertischen saßen je zwei Mitglieder und nahmen die Zettel aus den bereits geöffneten blauen Umschlägen und sortierten die Stimmen dann.

Die Zähler bekamen dann sortenreine Kisten und haben die Stimmkarten in 10er Blöcken abgezählt und nochmal kontrolliert und notiert in 800er Kisten gepackt.

Soweit der Plan, doch bereits gegen 23 Uhr hatten wir Zähler alle bis dato sortierten Stimmen ausgezählt. Das Sortieren dauerte einfach recht lange und die Organisatoren hatten das etwas falsch eingeschätzt.

Deshalb haben bis kurz vor 8 fast alle Tische sortiert.

Während der Nacht gab es zum Glück immer die Möglichkeit Pausen zu machen. Denn es standen überall Getränke und Essen bereit. Da die Luft im Saal zunehmend schlechter und wärmer wurde, konnte man auch immer mal auf einen Balkon und Luft schnappen.

Sogar an die Raucher*Innen wurde gedacht, es stand der Helmut-Schmidt-Gedächtnis-Raucherraum zur Verfügung. Für uns NRWler mit Raucherverboten überall war das mal was Neues.

Während des Sortierens konnte man sich immer mit den Genossinnen aus allen Ecken der Republik unterhalten und lernte viele unterschiedliche Menschen kennen.

Das unheimlich eintönige sortieren lässt dafür auch viel Raum, zumal man sonst ziemlich schnell sehr müde wird. Nachts um 5 können nicht nur an Theken „tiefsinnige“ Gespräche und Deeptalk entstehen, sondern auch bei dieser sehr nüchternen Akkordarbeit in Fensterlosen Sälen.

Für mich und alle andern GroKo-Gegner, gefühlt waren das fast alle, kippte die Stimmung beim Auszählen mit immer. Denn der für alle sichtbaren Stapel mit den reinen Ja-Stimmen wuchs sehr viel schneller als der Nein-Stimmen-Turm.

Doch davon durfte man sich nicht runterziehen lassen. Unser Ziel, die Abstimmung schnell und ordentlich auszuzählen, leuchtete über unseren koffeingestützen Köpfen. Also ringen wir zwischen 5 und 7 maßgeblich gegen den Tiefpunkt und vertrieben ihn mit Gesang, Koffein und Schoki.

„Wacht auf verdammte dieser Erde, die stets man noch zum zählen zwingt……“

Gegen 8 war auch die letzte Postkiste sortiert und wir konnten alle zählen. An den Vierertischen wurde es hektisch und die Schlagzahl erhöhte sich wieder. Plötzlich war ein Ende in Sicht.

Die in der Mitte gestapelten Postkisten wurden sehr schnell weniger. Ich saß mit einer Genossin aus Bamberg am Tisch und wir haben gezählt und notiert, bis die Kärtchen qualmten. Weil wir so schnell waren, bekamen wir dann zu unserem Ärger doch noch eine weitere letzte Kiste.

Wir mussten erstmal schlucken, denn eine Luftmatratze war schon gefühlt in nächster Nähe. Eine Tischdecke des nächstbesten Stehtisches als Decke ausgeguckt. Und eine Stunde Power-Nap vor der Pressekonferenz wäre bestimmt gut gewesen. Tja, nun mussten wir nochmal ran. Elektrisiert haben wir dann ein letztes Mal alles gegeben und auch die letzte Kiste gegen 8.20 Uhr fertig gezählt.

Nun konnten wir endlich runterfahren. Nochmal frühstücken, Luft schnappen und die Journalisten von oben beobachten. Wahrscheinlich sah man uns allen an, wie anstrengend und auch enttäuschend die Auszählung war.

Punkt 8.55 Uhr wurde die letzte Karte ausgezählt und die MPZK konnte das Ergebnis prüfen.

Währenddessen gab es eine kurze Ansprache der Organisatoren und wir gingen wieder zurück zu den Emporen und warteten auf das Endergebnis.

Die Pressekonferenz nahmen wir als sehr sachlich, kühl und kurz wahr. Olaf Scholz und unser Schatzmeister haben die Ergebnisse vorgetragen und allen Helfern gedankt. Es gab keinen Jubel der Parteispitze, keine Begeisterung sondern nur Erschöpfung und das Gefühl einer obskuren Erleichterung. Denn in diesem Moment ist die Verantwortung von uns Helfern abgefallen und wir konnten wieder in unser normales Leben zurück.

Gerade wir jüngeren sind dann schnell zu den eingeschlossenen Smartphones, denn wir waren ja tatsächlich vom Leben außerhalb des WBH ausgeschlossen. Dutzende Nachrichten wollten gelesen, das Dortmund-Ergebnis gesehen und weitere Bilder gemacht werden. Whatsapp, Insta, Facebook, Tinder und Co glühten förmlich.

Es folgte ein Gruppenfoto mit Scholz und Nahles im immer noch sehr stickigen Saal. Wir verabschiedeten uns alle, tauschten Nummern und Kontakte aus und strömten Richtung Tageslicht und Bett. Auf dem Rückweg setzte dann eine Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung ein. Ein seltsames Gefühl, was wohl alle Mitglieder haben. Ob Sie nun für Ja oder wie ich, für Nein gestimmt haben.

Sicherlich ist das Ergebnis für mich persönlich nicht gut, aber damit müssen wir leben. Wir müssen jetzt damit arbeiten und all die berechtigte Kritik im Erneuerungsprozess umsetzten.

Wer denkt, die SPD hätte gerade ihr Grab geschaufelt der irrt. Eine Partei die so gut und ausführlich in den untersten Ebenen diskutiert, eine Partei die für eine solch anstrengende Aufgabe Freiwillige herbeischafft und sich wirklich um die Zukunft Sorgen macht ist zwar nicht blind geeint, aber ein  Garant für die Zukunft. Und wenn wir diesen Spirit in die Erneuerung reintragen war es das auch alles wert.